Gespalten - Eine Rede zum Zusammenhalt
Beim diesjährigen wienXtra-Redewettbewerb überzeugten Caroline und Johanna Reiter aus dem Jahrgang Gamma mit ihrer eindrucksvollen Rede über die Spaltung der Gesellschaft in der Kategorie „Sprachrohr“ – und setzten sich damit gegen zahlreiche Mitbewerber:innen durch. Sie gewannen den Landeswettbewerb und vertreten Wien im Bundesfinale. In der Walz steht die Förderung von Potenzialen im Mittelpunkt – Caroline und Johanna wurden nicht nur von ihrem Theaterpädagogen und ihrer Mentorin unterstützt, sondern auch von ihrem ganzen Jahrgang, der sie zum Wettbewerb begleitete und begeistert im Publikum mitfieberte.

Gespalten
Person 1
Person 2
beide
[Hebt einen Teller auf, der in zwei Teile gebrochen ist]. Kaputt
Kaputt? Also ich denke, das könnte man noch zusammenkleben. Noch reparieren.
Nein, das hat doch gar keinen Sinn, das würde nur immer wieder auseinanderbrechen.
Aber das ist doch ein Blödsinn. Wir müssen das nur zusammenhalten, wir müssen es nur wirklich wollen, dann hält es bestimmt.
Wenn etwas so unwiderruflich gebrochen ist, wenn der Riss zu tief, die Unterschiede zu groß und die Gemeinsamkeiten zu klein sind, wie soll dann noch etwas zusammenhalten? Schau doch nur auf unsere Gesellschaft, auf unsere Welt. Siehst du nicht, wie tief unser Riss geworden ist? Wie kilometerweit die Teile auseinandergesprungen sind, unfähig wieder zusammenzupassen, zusammenzuhalten für eine bessere Zukunft? Schau zu Donald Trump in die USA, zu Alice Weidel nach Deutschland oder zu Herbert Kickl nach Österreich. Ein Ruck nach rechts, überall auf der Welt. Ein Ruck weg von Vielfalt und Stärke, hin zu Diskriminierung und Ausgrenzung. Ein Ruck in die falsche Richtung, der diesen Spalt verursacht hat.
Du willst also sagen, dass allein rechte Politik schuld an deiner Spaltung ist? Wie kommt man nur auf sowas Dummes? Diese Menschen wagen nur das auszusprechen, was alle wissen, aber sich niemand zu sagen traut. Sie sagen die Wahrheit. Sie erhalten, was uns wichtig ist. Sprachen. Bräuche. Traditionen. Wir brauchen keine 72 Geschlechter. Keine Jungs im Kleid mit Nagellack oder weitere 100 Windräder, die unsere schöne Natur verstellen. Wir brauchen wieder mehr Österreicher auf unseren Straßen, anstatt ausländischen Messerstechern.
Wir brauchen keine veraltenden Rollenbilder und auch keine Rechtsextremen, die die schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialisten kleinreden. Wir stehen vor riesigen globalen Problemen. Immer extremeres Wetter, überschwemmte Gebiete, der Krieg klopft an unserer Haustür. Und ich habe echt keine Ahnung, wie wir diese Probleme mit Menschen wie dir lösen sollen. Hast du dich einmal, ein einziges Mal damit beschäftigt, was diese Politiker, denen du deine Stimme gibst, denken, und wie ihre Politik Menschen, Frauen wie dich und mich, Homosexuelle, Geflüchtete und so viele mehr diskriminiert?
Ihr Linken glaubt echt ihr seid etwas Besseres, ha. Dabei gibt es keine größeren Heuchler als euch. Uns wollt ihr unser Schnitzel wegnehmen, aber gleichzeitig seid ihr es, die ohne schlechtes Gewissen zum Yoga-Retreat um die Welt fliegen und sich jeden Tag ihre weitgereiste Avocado auf ihr veganes Dinkelbrot schmieren.
Und jetzt sind wir genau bei dem zerbrochen Teller angelangt. Du sagst, wir sind Heuchler, aber was seid ihr dann? Ich kann es dir beantworten, ihr seid die größten Egoisten. Eure Denkweise schadet Menschen, und das macht den Spalt zwischen uns, die Unterschiede zu groß. Wir sind zu verschieden, als dass wir je wieder zusammenpassen könnten.
[Person 1 und 2 stehen Rücken an Rücken, drehen sich gleichzeitig nach vorne und nehmen sich dabei an den Händen.]
STOP
Was ist das für eine Gesellschaft, in der man nicht einmal miteinander reden kann?
Was ist das für eine Gesellschaft, in der man nicht miteinander, sondern gegeneinander kämpft?
Sehr geehrtes Publikum,
das, was Sie eben gesehen haben, könnten meine Schwester oder ich in einer Diskussion mit einer Person, die rechte Ansichten vertritt, noch vor ein paar Monaten gewesen sein. Wir waren wütend. So richtig wütend. Schon wieder wurde nur über das Sicherheitsrisiko, das durch Migration angeblich überlastete System und den Respekt gegenüber Traditionen gesprochen.
Aber der Respekt gegenüber den Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, gegenüber den Personen, die nicht in diese starren Anzüge namens Mann und Frau passen, die wir ihnen als Gesellschaft überwerfen, oder die einfach nur verliebt sind, der Respekt gegenüber den Generationen, die weiterleben werden, auf dieser immer wärmer werdenden Erde, der wird von so vielen komplett vergessen.
Das hat uns wütend gemacht. Und es macht uns auch immer noch wütend. Doch wir haben gemerkt, ja wir haben gelernt, dass unser Verhalten diskriminierte und dem wichtigsten Bestandteil einer funktionierenden Demokratie – der offenen, unvoreingenommenen Diskussion – im Weg stand. Wir haben uns aufgrund unserer Ansichten besser gefühlt als jene mit anderen Meinungen. Wir haben Menschen, verurteilt, ohne sie zu kennen, nur wegen dem Kreuz, das sie im Wahllokal setzen.
Dabei müssen wir offen sein, aufeinander zugehen und vor allem einander zuhören, denn wenn nicht, tragen wir auch zu dem Riss in unserer Gesellschaft, in unserem Teller bei. Nur gemeinsam erlangen wir die Kraft wieder von einem Miteinander zu sprechen. Einem Miteinander, das so wichtig ist. Unterschiedliche Ansätze, Austausch und Diskussion sind notwendig, denn am Ende des Tages müssen wir bereit sein, Kompromisse und Lösungen zu suchen.
In einer Gesellschaft, die sich spaltet, müssen wir uns immer für den Zusammenhalt entscheiden. Zusammen anstatt gegeneinander.
Eigentlich wollen wir doch alle das Gleiche.
Wir wollen, dass der Krieg nicht mehr an die Haustür der Welt klopft, oder sogar schon am Küchentisch sitzt.
Wir wollen auf eine Zukunft blicken, in der Vielfalt keine Schwäche, sondern eine Stärke ist.
Wir wollen jeden Tag in einem gerechten Land aufwachen, mit denselben Chancen und Möglichkeiten für jeden.
Wir wollen in der Lage sein, dem Menschen, den wir lieben, unsere Zuneigung offen zeigen zu dürfen.
Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der man miteinander redet und zusammen die besten Lösungen für Probleme findet.
Und jetzt fragen wir sie, sind das Wunschvorstellungen, unrealistisch und unerreichbar?
Oder doch umsetzbar, wenn wir es alle wollen?
Lasst es uns alle wollen.
Lasst uns der Kleber für unseren zerbrochenen Teller sein!
In einer Gesellschaft, die sich spaltet, müssen wir uns immer für den Zusammenhalt entscheiden. Nur wenn wir die Spaltung unserer Gesellschaft überwunden haben, können wir zusammen die Herausforderungen der Zukunft bewältigen.
[Halten die zerbrochenen Stücke des Tellers zusammen]
Zusammen anstatt gegeneinander.