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Schimmel vom Himmel

Im ersten Walz-Jahr tauchen unsere Jugendlichen drei Wochen lang in die Welt des Handwerks ein. Ob Kfz-Werkstatt, Konditorei, Tischlerei oder auch so ein außergewöhnlicher Ort wie eine Fermentationswerkstatt: Die Jugendlichen suchen sich ihr Praktikum selbst, folgen ihren Interessen oder entdecken ganz neue!

Heuer führte Amos' Wissensdurst ihn zu Augora, einer Fermentationswerkstatt in der mit viel Geduld und handwerklicher Präzision lebendige Lebensmittel entstehen.

Sein Abschlussbericht über sein Praktikum hat dort so berührt, dass Augora ihn spontan als eigenen Newsletter verschickt hat.

Wir freuen uns sehr, dass wir diesen besonderen Text auch hier teilen dürfen. Viel Freude beim Lesen!

SCHIMMEL VOM HIMMEL

Es ist 10:00 Uhr morgens, die Mariahilferstraße wimmelt nur so von Einkäufer*innen und in die Arbeit strömenden Menschen. Doch die wenigsten von ihnen ahnen, dass sich nur ein paar hundert Meter weiter in der Stumpergasse 1A, im 6. Wiener Gemeindebezirk,die Türen in eine andere, wundervolle Welt gerade erst öffnen.

Ich heiße Amos, bin 14 Jahre alt und gehe normalerweise auf die Walz. Ein ganz besonderes Oberstufengymnasium in Penzing. Doch dort war ich in den letzten 3 Wochen kein einziges Mal. Und obwohl wir scheinbar keinen Unterricht hatten, habe ich in dieser Zeit mehr gelernt als je zuvor.

Ich klopfe wie jeden Tag an die noch verschlossene Glastür meines Arbeitsplatzes und warte kurz. Die Tür geht auf und ich gehe hinein, vorbei an den farbig gefüllten Einweckgläsern, den vielen Getränkeflaschen und den Büchern mit Rezepten aus jedem Eck der Welt.

Auf den ersten Blick ist Augora Fermente eine liebevolle Lebensmittelmanufaktur mit allem, was dazugehört. Doch hier ist etwas anders.

Bei uns sind es nicht wir Menschen, die die Köstlichkeiten zubereiten, den Knoblauch schwärzen oder den Kimchi säuern. Nein, hier übernehmen Schimmel und Bakterien die Rolle des Kochs und tun dies oft besser als jede menschliche Konkurrenz. Wir im Augora helfen ihnen lediglich, ihre Arbeit zu verrichten, indem wir sie füttern und aufpassen, dass es ihnen nie zu warm oder zu kalt wird.

Das Team passt gut zum Laden. Farbenfroh und divers sind die Gesichter, mit denen ich jeden Tag arbeiten darf. Wenn Koch Daniel aus Südtirol die Küche besetzt, fehlt es nie an Italo Pop. Unsere Chefin Alexandra, eine studierte Archäologin, hat bis vor ein paar Jahren noch in der IT Branche gearbeitet, als die Fermentation sie in ihren Bann zog und sie den Laden gründete. Thomas, den man normalerweise bei seinem Kombucha finden kann, spielt auch leidenschaftlich in einer Band. Und Laurin, der im Service die Kunden bedient, arbeitet außerdem noch bei der Männerberatung. Und das sind nur ein paar der vielen spannenden Persönlichkeiten, die ich in den letzten Wochen kennenlernen durfte.

Ich gehe weiter und gelange durch die glänzende Edelstahl-Küche in den Lagerraum, wo der große Gusseisentopf mit meinem Kombucha schon auf mich wartet. Meine Aufgabe ist es, Scoby, den wertvollen Kombuchapilz mit Zucker zu versorgen, damit er die Fermentation in Gang setzen kann. Ich schaue mich um. Neben mit Kartoffeln und Zwiebeln gefüllten Kisten frisch vom Markt und stapelweise Rexgläsern in allen Größen, stehen auch die Bleche voll mit Koji aus Gerste und Reis, die ich erst vor ein paar Tagen gemacht habe. Schon jetzt hat sich der flaumig weiße Edelschimmel, der am Anfang nichts anderes als eine Handvoll Sporenpulver war, auf den Getreiden breitgemacht. Er verleiht dem Koji seinen markant süßen Geschmack und tötet gleichzeitig alle anderen Pilze und Bakterien ab, die ihm sein Getreide streitig machen wollen. Magisch. Und auch die Basis vieler Fermente wie Sojasauce oder Miso.

Der Zucker ist drinnen und ich mache mich wieder auf den Weg nach vorne, um das Kühlregal im Verkaufsbereich mit neuem Sauerteig zu versorgen. Na ja, eigentlich ist er das Gegenteil von neu. In den Sackerln, die ich jetzt ins Regal einsortiere, ist nichts anderes als ein kleines, mit neuem Mehl und Wasser gefüttertem Stück eines Sauerteigs, den es schon seit 20 Jahren gibt, also ganze 6 Jahre länger als mich. Und mit jedem einzelnen Tag wird er ein kleines bisschen reifer und köstlicher.

Amos Resch

Viele Menschen können sich unter dem Begriff Ferment nichts vorstellen. Besonders für ältere Generationen klingt das dann bald mal zu “alternativ”, “nur für die jungen Leut`” oder sowieso ein Blödsinn. Doch wenn man dieselben Leute fragt, ob sie Schokolade, Joghurt oder Sauerkraut essen, ist die Antwort wahrscheinlich ja. Fast jeder Österreicher konsumiert regelmäßig Fermente. Sie sind überall und die wenigsten wissen es.

Doch die Idee der Fermentation und besonders die Bakterien, die sie ermöglichen, sind uralt. Schon seit dem Morgen der Menschheit wird fermentiert und das haltbar machen mit Bakterien, ist in Erzählungen quer durch die Geschichte wiederzufinden.

Jesus trinkt in der Bibel Wein, die Römer tunkten Speisen in ihre Fischsoße Garum, und schon im Mittelalter wurde viel Sauerkraut gegessen.

Erst seit den letzten 100 Jahren pasteurisieren wir unsere Lebensmittel und töten damit alle Bakterien ab. Die schlechten, aber auch die guten. Erst jetzt beginnen wir zu erkennen, wie wichtig diese winzigen Helfer für unsere Gesundheit sind und wie einflussreich der Darm wirklich ist. Auf und in jedem Menschen wimmelt es nur so von Bakterien. Das sogenannte Mikrobiom ist ein wichtiger Teil unseres Immunsystems und mit je mehr Vielfalt wir es versorgen, umso widerstandsfähiger kann unser Körper sein.

Bakterien sind überall. Sie haben lange vor uns existiert und es sieht so aus, als würden sie uns Menschen auch überdauern. Statt gegen sie zu kämpfen, sollten wir sie feiern! Sie bringen uns nicht nur Genuss, sondern halten uns außerdem fit und gesund.

Drei Wochen Praktikum. Mein Kühlschrank daheim ist mittlerweile voll mit selbstgemachtem Kefir, Kimchi, Miso und echtem Kombucha.
Schimmel vom Himmel eben.
Danke Augora, ich komm bald wieder!

Amos Resch